Habt ihr euch eigentlich schon mal gefragt, ob wir Menschen überhaupt dafür gemacht sind, wirklich frei zu sein?
Oder sind wir in unserer psychologischen Architektur so „festverdrahtet“, dass wir immer wieder in die gleiche Falle tappen?
Es ist eine Beobachtung, die mich gleichermaßen fasziniert und nachdenklich stimmt. Wir leben in einer Welt, die sich für aufgeklärt hält. Die alten Götter sind für viele verstummt, die Kathedralen leerer geworden.
Aber die Sehnsucht nach dem Glauben, sie verschwindet einfach nicht.
Sie ist wie ein Vakuum – und die Natur duldet kein Vakuum. Wir füllen den leeren Platz im Tabernakel einfach mit neuen Inhalten.
Die Sehnsucht nach der einen Wahrheit
Schaut euch das Chaos da draußen an: Geopolitik, Zinsentscheidungen, das undurchsichtige Geflecht der Zentralbanken. Wer soll da noch durchblicken?
In diese Ohnmacht hinein tritt der Bitcoin-Maximalismus und flüstert uns zu: „Vergiss den Rest. Es gibt nur diese eine Wahrheit.“ Es ist die ultimative Komplexitätsreduktion. Es beruhigt unser Gehirn ungemein, wenn aus dem bunten Rauschen der Welt ein klares Schwarz-Weiß wird.
Das tut gut. Aber ist es nicht erschreckend, wie schnell wir bereit sind, unsere kritische Distanz für die Sicherheit einer einfachen Antwort einzutauschen.
Die Flucht aus der Einsamkeit
Eigentlich ist das Investieren ein einsamer Akt. Man sitzt allein vor seinem Bildschirm, ein Klick, eine Zahl. Doch der „Kult“ um den Bitcoin macht daraus eine globale Bruderschaft. Plötzlich kämpft ihr nicht mehr allein um euer Portfolio, sondern gemeinsam gegen das „Böse“ – gegen die Inflation, gegen die Banken, gegen das alte System und vor allem gegen die Ungläubigen, die es einfach nicht begreifen wollen.
Aus dem Investor wird ein Kreuzritter. Es ist das Bedürfnis nach Unfehlbarkeit in einer Welt voller fehlerhafter Menschen. Wir erleben täglich, wie Politiker uns enttäuschen und Experten sich irren. Ist es da nicht nur logisch, dass wir unsere Hoffnung nun in einen perfekten, mathematischen Code legen.
Die Ironie
Eigentlich wurde Bitcoin geschaffen, um uns von der Autorität der Banken zu befreien. Er sollte uns die Souveränität zurückgeben.
Und wir haben nichts besseres zu tun, als diese neu gewonnene Freiheit einer neuen, digitalen Autorität unterzuordnen.
Wir tauschen im Grunde nur das Gewand der Religion aus.
Die Sehnsucht nach der einen, rettenden Wahrheit ist wohl zu stark.
— GÜNTHER SCHAUPP
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