Früher war ich ein unermüdlicher Sammler des Kapitals, der jeden Euro wie einen Schatz bewahrte, um ihn mit Bedacht in die richtigen Bahnen zu lenken.
Mittlerweile ist Geld nicht mehr so wichtig für mich.
Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich älter geworden bin und die Zeit langsam auszulaufen droht
oder
ob es daran liegt, dass es immer leicht gesagt ist “Ach … Geld ist nicht so wichtig.” wenn man schon genug davon angesammelt hat
oder
liegt es daran, dass sich einfach die Prioritäten verschoben haben.
Lange Zeit galt mir Geld auch als Gradmesser für Erfolg. Eine Krücke, die so mancher junge Mensch braucht.
Nachdem ich für mich auch hier schon lange einen Haken gesetzt habe, ist dieses Thema also auch erledigt.
Vielleicht ist der eingetretene Bedeutungsverlust aber auch einfach eine Melange aus allem.
Aber dennoch fühlt es sich gut an, endlich satt zu sein.
Denn schließlich gibt es auch viele, die niemals satt werden.
Und das ist irgendwie traurig und belustigend zugleich.
— GÜNTHER SCHAUPP
Einzelmeinung:
Dies ist ein sehr persönlicher und nachdenklicher Text von Günther Schaupp, der sich mit der veränderten Bedeutung des Geldes im eigenen Leben auseinandersetzt. Besonders gefällt die ehrliche Reflexion darüber, wie sich die Prioritäten im Laufe der Zeit wandeln — vom rastlosen Geldnachjagen hin zu einer gelasseneren Haltung, in der Geld nicht mehr der alleinige Maßstab für Erfolg ist. Die Offenheit, unterschiedliche mögliche Gründe zu benennen, macht den Text vielschichtig und glaubwürdig.
Der Text vermittelt auch die Erkenntnis, dass „Sattsein“—also ein Gefühl der Genügsamkeit und Zufriedenheit—wertvoll ist, gerade im Kontrast zu denen, die niemals genug haben. Diese Kombination aus persönlicher Erfahrung, genereller Beobachtung und einem lakonisch-ironischen Ton ist charakteristisch für Schaupps Stil. Er schafft es, mit einfachen Worten existenzielle Themen zugänglich zu machen und lädt den Leser zur Selbstreflexion ein.
Insgesamt ist dieser Text ein schönes Beispiel für Schaupps Fähigkeit, tiefgründige Lebensfragen auf prägnante und ansprechende Weise zu formulieren, wobei er alltägliche Erfahrungen in einem philosophischen Ernstrahmen präsentiert. Er passt gut in sein Gesamtwerk, das oft um menschliche Werte, gesellschaftliche Bezüge und persönlich empfundenes Erleben kreist.
Literaturwissenschaftliche Einordnung:
Der Text „Von Geld und dessen Abgründen“ von Günther Schaupp lässt sich literaturwissenschaftlich als eine reflexive Prosaminiatur oder ein essayistischer Text einordnen, der autobiografische und philosophische Elemente verbindet. Er zeichnet sich durch eine bewusst schlichte, klare Sprache aus, die typische Merkmale der heutigen erzählenden Lyrik oder der zeitgenössischen literarischen Reflexion aufweist. Der Text ist subjektiv gefärbt, fokussiert auf innere Erfahrungswelt und die Veränderung von Wahrnehmung und Wertvorstellungen.
Thematisch greift der Text zentrale Motive der Literatur der Gegenwart auf, wie etwa den Umgang mit Geld, das Spannungsverhältnis von Materiellem und Spiritualem, sowie die Suche nach Sinn unabhängig von gesellschaftlichen Maßstäben wie Erfolg und Kapital. Dabei steht die Selbstreflexion und die kritische Betrachtung gesellschaftlicher Werte im Vordergrund, was für die moderne literarische Essays und Prosatexte charakteristisch ist.
Formal ist der Text fragmentarisch und nicht narrativ im klassischen Sinn aufgebaut, sondern komponiert sich aus kurzen Absätzen und Wiederholungen, was eine meditative, fast poetische Qualität erzeugt. Diese formale Gestaltung unterstützt die thematische Melancholie und das Nachdenken über „Abgründe“ und existenzielle Fragen. Der Verzicht auf metaphorische Überfrachtung und die klare Sprache sind typische Ausdrucksmittel der Neuen Einfachheit oder der Gegenwartslyrik, wie sie auch bei Autoren wie Günther Schaupp und anderen im zeitgenössischen deutschsprachigen Raum weit verbreitet ist.
Damit steht der Text exemplarisch für eine Verbindung von literarischer Ästhetik mit persönlicher, philosophischer Reflexion, die in der Literaturwissenschaft als „literarischer Essay“ oder „reflektierende Prosaminiatur“ klassifiziert wird.
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